Sonntag, 19. Mai 2013

Vom Stolz Fortune zu sein


Der Morgen danach. Er schmeckte schal und bitter. Die Augen geschwollen, ob der geweinten Tränen und denen, die sich auf der Linse eingebrannt hatten, dort festsaßen, darauf warteten, sich ihren Weg zu suchen, hinunter zu rinnen, über eine geschundene Seele.

Das Herz quoll über, erfüllt von Schmerz. Die Hoffnung war gewichen, hatte hilfloser Ohnmacht Platz gemacht. Man hatte mir Beileid gewünscht, ich hatte gesagt, wir seien doch nur abgestiegen und nicht gestorben.

Und dennoch. Es war, als hätte ich uns beim Sterben zugesehen. Ganz langsam, Stück für Stück, unaufhaltsam. Seltsam widerstandslos. Weshalb nur hatte der Glaube gefehlt? Wo war es geblieben, das trunkene Gefühl des unfassbaren Glücks, das uns getragen hatte, in das große Abenteuer Bundesliga?

Wir hatten gefeiert, ja, selbst Niederlagen besungen, denn wir waren wieder da, nach all den Jahren, hatten geduldig gewartet und waren endlich oben angekommen. Waren stetig Schritt um Schritt vorangegangen, hatten uns vom tiefsten Keller in's Oberhaus vorgearbeitet.

Staunend hatte ich in Arenen gestanden, zu denen uns der Zutritt so lange Zeit verwehrt geblieben war, konnte kaum fassen, dass ich dort sein durfte, Seite an Seite mit gestandenen Ligadinos. Ich war so unglaublich stolz auf meinen Verein, darauf, dass er das geschafft hatte und mir schenkte, was ich mir schon so lange gewünscht hatte.

Mir war klar, dass die Jubelarien nicht ewig anhalten würden aber ich genoss jede einzelne Sekunde aus vollstem Herzen, fühlte mich wie ein Kind, dass staunend und mit glänzenden Augen vor einem riesigen Weihnachtsbaum steht, voller Erwartung und angespannter Glückseligkeit.

Es hätte immer so weitergehen können. Ja, wenn nicht...
Ich weiß selbst nicht, was es war. Es kam angeschlichen, lautlos, hinterrücks und ohne Vorwarnung. Ich sah, wie unsere Jungs mehr und mehr den Halt verloren, sich Fehler häuften, einfachste Dinge misslangen. Ein Team, das zerfiel, sich auflöste, miteinander stritt und die Homogenität verlor. Es hatte begonnen. Das langsame Sterben. Die Demontage des ganz großen Traums.

Jeder vertane Sieg schob uns näher an den Rand des Abgrunds, Punkt um Punkt wurde hergeschenkt. Der Wille war gebrochen, der Glaube verlor sich. Ich wollte ihnen helfen und konnte es doch nicht, ich konnte nur zuschauen, wie sie sich selbst aufgaben. Wie gerne wäre ich zu ihnen gegangen, hätte ihnen Mut zugesprochen, ihnen gesagt, wie stolz wir auf sie waren und wie glücklich sie uns gemacht hatten.

Die Worte verhallten ungehört, leere Blicke wichen der Verzweiflung, sie schienen zu ahnen, dass sie es nicht aus eigener Kraft würden schaffen können. Sie wussten, dass wir unbeirrbar zu ihnen halten würden aber auch das nützte nichts mehr.

Der Tag war gekommen, an dem wir Rechnung tragen mussten. Unaufhaltsam ergoss sich der Schmerz über uns, ungebremst traten wir den tiefen Fall an. Ich weinte, weil ich ihre Tränen sah, fühlte ihr Entsetzen, ihre Mutlosigkeit, ihre Trauer. Es gab keinen Traum mehr. Nur noch Leere, die die Brust schier zerspringen ließ, blankes Entsetzen, hilflose Wut.

Das große Abenteuer war zu Ende. Ich blickte dankbar auf ein Jahr zurück, dass ein Besonderes gewesen war. Für mich, für sie, für uns alle. Wir hatten erleben dürfen, wie es ist, sich mit den ganz Großen zu messen. Und hatten lernen müssen, dass man sich "oben" verdienen muss.

Wir würden einen neuen Weg gehen, gemeinsam mit ihnen. Die Wunden würden heilen und wir würden bleiben was wir immer waren, stolze Fortunen, die die Liebe zu ihrem Verein tief in ihren Herzen trugen. Und das würde sich niemals ändern.

Fortuna Düsseldorf. Meine Liebe, mein Verein.

Sonntag, 12. Mai 2013

Heimspiel 2


Ich erwachte nach einer durchzechten Nacht, in der reichlich Bier und vielleicht ein, zwei Jägermeister zuviel geflossen waren. Folglich war mir schlecht und mein Kopf sagte: "Das hättest Du nicht tun sollen.."

Dieses paarte sich mit Aufregung, denn der 33. Spieltag war angebrochen und ich würde zum letzten Mal vor der Sommerpause ein Heimspiel meiner Fortuna besuchen. Wie immer an solchen Tagen zählte ich die Stunden, bis ich endlich die Arena betreten würde und brachte ob der Anspannung keinen Bissen hinunter.

So viel stand auf dem Spiel, denn wir mussten darum kämpfen, in der Liga verbleiben zu können, ebenso wie die anderen Mannschaften mit demselben Ziel, mit denen wir uns um Punkte und Plätze stritten.

Nervös, unruhig und mit Magenschmerzen machte ich mich auf den Weg. Ich fuhr die gewohnten Straßen entlang und freute mich über all jene, die mit mir unterwegs waren und sich mittels Aufklebern, Schals, Wimpeln, Kennzeichen und Anhängern zu unserem Verein bekannten.

Im Außenbereich der Arena herrschte bereits reges Treiben, tausende Fans tummelten sich auf den Vorplätzen und genossen ihre Erfrischungen an den Bierständen. Regen hatte eingesetzt und ich ging Schritt für Schritt in Richtung Eingang, bedächtig und langsam, sah an der Fassade der Spielstätte hoch und Wehmut erfasste mich. Ich liebte es hier zu sein. Ich fühlte Heimat, dies war mein Zuhause, mit all dem Glück und Leid, welches uns stets begleitet hatte.

Inmitten dieser Menschenmenge fühlte ich mich allein und wollte es auch sein. Ich mochte niemanden treffen und mich auch nicht unterhalten. Fand den Weg in meinen Block, der noch halb leer war. Mein Blick erfasste die Kurve, die in Rot getauchte Süd, auf dem Rasen gingen Fernsehmenschen ihrer Tätigkeit nach, ich hörte die Stimme unseres Stadionsprechers ohne wahrzunehmen, was er sagte, Fabi kam auf den Platz, Beifall brandete auf.

Die Jungs betraten den Rasen, um sich warm zu machen, liefen auf die Kurve zu, klatschend in Anerkennung ob des Supports, der ihnen ein um's andere Mal zuteil wurde. Ich sah sie an, mit Tränen in den Augen, fühlte mich voller Zuneigung mit ihnen verbunden und wusste, ich würde sie so sehr vermissen, ja, manche von ihnen vielleicht zum letzten Mal überhaupt in unserem Vereinstrikot begrüßen.

Die Rituale wurden abgespult, das Grün geräumt, die Spielernamen des aufgestellten Kaders aufgerufen und die Einlaufmusik setzte ein. Wie gewohnt durchlief mich ein Schauer und ich bekam Gänsehaut. Ich sog die Atmosphäre ein und ließ mich mitreißen. Wir waren eins mit ihnen. Eine Einheit, die Stadt, die Fans, die Spieler.

Die vertrauten Klänge des "95 olé!" schallten aus den Lautsprechern, wir sangen mit, so wie wir es immer taten, schworen uns aufeinander ein. Das Motto des Tages "Kämpfen" war ausgegeben und es war angerichtet. Kurve und Supporter ehrten unseren Lumpi mit einer wunderschönen Choreo, reckten Schilder mit seinem Namen und Transparente mit seinem gemalten Konterfei in die Höhe und dankten ihm für die vielen Jahre, in denen er seine Treue und Liebe zu seiner Fortuna gezeigt, gelebt und bewiesen hatte.

Nicht nur wir waren davon ergriffen, auch er selbst, so schien es, denn er wirbelte auf dem Feld in quirliger Messi Manier herum, wenn auch freilich ohne dessen technische Qualitäten. Er zeigte das, womit er sich schon vor langer Zeit in unserer Herzen gespielt hatte, Leidenschaft und Kampf für die Mannschaft, unermüdlich einsatzbereit, nichts unversucht lassend, dem Team dienlich zu sein.

Ich nahm wahr, dass die Jungs sich den Kampf vorgenommen hatten und ihn auch praktizierten. Zumindest anfangs. Beflügelt durch den Führungstreffer, den uns ein Nürnberger geschenkt hatte, fühlten wir, dass da was geht. Hoffnung keimte auf, es aus eigener Kraft schaffen zu können, sich ein Stück oberhalb der gefährlichen Tabellenzone positionieren zu können.

Eine Halbzeitpause kann ein Segen sein. Oder ein Fluch, je nach dem. In der stattgefundenen müssen wohl die falschen Worte gefallen sein, anders konnte ich mir die veränderte Haltung der Mannschaft nicht erklären. Statt des Bemühens Vorteil aus der Führung zu ziehen, schien alles aus dem Ruder zu laufen. Der Faden war verloren und folgerichtig drehte der Club das Spiel und erarbeitete sich den 2:1 Endstand.

Ich hatte Mühe, mich zu sammeln, fühlte mich mutlos und wie erschlagen. Vielleicht ging es den Jungs ähnlich, kraftlos und enttäuscht verließen sie ohne die sonst übliche Abschiedsrunde den Platz. Wir hätten sie dennoch gefeiert, ihnen Respekt gezollt, aber vermutlich empfanden sie, das nicht verdient zu haben oder es war ihnen schlicht nicht danach zumute.

So still, wie ich gekommen war, verließ ich die Arena und arbeitete mich zum Bahnsteig vor. Fand Platz in einem überfüllten Abteil, umringt von Nürnbergern, die friedlich, freundschaftlich und sportlich fair den Spielverlauf analysierten. Meinen Kopf hielt ich während der ganzen Fahrt gesenkt, sah niemanden an und war dankbar, dass keiner versuchte mich in ein Gespräch zu verwickeln.

Eine weitere Woche würde vergehen, eine ohne Gewissheit, was die Zukunft bringen würde, versehen mit einer Gefühlswelt, die sich aus einem Gemisch aus letzter Hoffnung und auch einem Stück Resignation zusammensetzte.

Aber auch wenn ich geknickt war, eines war gewiss. Ich würde jeden Weg mit ihnen gehen. Sie gehörten zu mir und sie würden immer ein Teil von mir sein. Ich würde sie niemals im Stich lassen und würde weiter mit ihnen lachen, weinen, hoffen, schimpfen, kämpfen, leiden und feiern.

Sie sind die eine Liebe, die nie vergeht.

Fortuna Düsseldorf. Meine Liebe, mein Verein.