Freitag, 19. September 2014

Der beste Fan



Eine immer und allseits beliebte Diskussion bezog sich auf die Frage, wer für sich beanspruchen durfte, der einzig wahre und wirkliche Fan zu sein. Der echte und wahrhaftige, der, der es ganz allein verdiente, sich mit dieser Bezeichnung schmücken zu dürfen.

Klar im Vorteil war vermutlich der, der schon immer, also von frühester Kindheit an, Fan eines Vereins gewesen ist. Der, dessen Eltern ihn direkt nach der Geburt bei dem erwählten Verein als Mitglied angemeldet hatten, bei dem sie selbst bereits von Kindesbeinen an...., wie ihre Eltern... und so weiter.

Das ließe sich beliebig fortführen, zumindest bis zum Gründungsjahr des jeweiligen Vereins, der, und auch das war von Vorteil, mindestens seit hundert oder mehr Jahren in seiner jetzigen Form existierte. Anhänger eines Vereins, den es erst weitaus weniger Jahre gab, hatten leider Pech, denn Tradition wächst schließlich nicht auf Bäumen, sondern nur über einen äußerst sehr unglaublich langen Zeitraum hinweg und war angefüllt mit einer Historie bestehend aus Zeiten der Erfolge, Aufstiegen, gewonnen Pokalen, Meistertiteln oder aber auch Niederlagen, Abstiegen, Skandalen und weiteren düsteren Kapiteln.

War man nun besagtes Glückskind, dessen Erziehungsberechtigte einen bereits mit ins heimische Stadion nahmen, als man als einziges Accessoire einen monofarbenen Schnuller im Mund trug, heutzutage natürlich stilecht mit entsprechendem Vereinslogo verziert, passend abgestimmt zum Kidstrikot in Größe Baby-XXS, abgerundet mit Schlabberlatz und überdimensionalen Lärmschutz-Kopfhörern, ja dann war bereits ein wichtiges Kriterium erfüllt: Man war von Anfang an dabei! Dies war nur noch zu toppen, in dem man Fan seit der allerersten Stunde des Vereins war. Hier wiederum waren die die Gewinner, deren Verein noch jung an Jahren war. Die Traditionalisten konnten sich noch so sehr mühen, jedes fortschreitende Jahr ihres Vereins zu begleiten. Die verdammte Medizin schaffte es einfach nicht, lebensverlängernde Maßnahmen zu erfinden, die einen unsterblich machten. Beispielsweise Einhundertsiebzehn Jahre oder länger hielt der menschliche Körper in den seltensten Fällen durch, tja, da war leider nichts zu machen. Sollte sich die, nach letztem Kenntnisstand noch lebende, japanische Dame Misao Okawa, die 1898 das Licht der Welt erblickte, einer aktiven, gesunden und erfüllten Fankarriere erfreuen, wäre sie das von allen echten Fans angestrebte Nonplusultra, das es zu erreichen galt.

Wenn man also nun seine gesamte Kindheit damit verbracht hatte, Spielen seines Vereins beizuwohnen, war man bestens gerüstet, um weiter am Erwerb des Titels "Bester Fan" zu arbeiten. Diejenigen, die sich dummerweise einem Verein angeschlossen hatten, der nicht an ihrem Heimatort kickte, sondern am anderen Ende der Republik oder gar im Ausland, hatten sich bereits disqualifiziert, denn ihnen war es logistisch nahezu unmöglich, sämtliche Partien live und vor Ort anzusehen. Das gleiche galt für jene, die es wagten, von dem Ort wegzuziehen, an dem ihr Verein ansässig war, sei es nun familiär oder beruflich bedingt. Keine Ausrede war legitim, wem sein Verein nicht oberstes Gebot war, der brauchte den Kampf um das Erbe Krone gar nicht erst anzutreten.

Werfen wir nun einen Blick in ein gutgefülltes Stadion an einem normalen Bundesliga Spieltag. Die gegnerischen Fans waren hierbei vernichtend zu ignorieren, trugen sie doch per se die falschen Farben und/ oder das verkehrte Vereinsemblem, sangen gehaltlose Lieder, die man zum Glück akustisch und inhaltlich sowieso kaum verstand, waren im Vergleich zur Menge der Heimfans in nur popeliger Anzahl vertreten und allenfalls dazu zu gebrauchen, dass man sie mit Schmähgesängen bedenken konnte. Somit verblieben die Gerade und Gegengerade, der Unter- und der Oberrang, die Heimkurve und der Ultra-Block.

Ein lustiges reihum-mit-dem-Finger-auf-alle-anderen-zeigen konnte seinen Lauf nehmen, entsprechend einer Hierarchie, die man sich vielleicht in etwa so vorstellen könnte, beginnend damit, dass alle die, die saßen, schon mal gar keine Ahnung hatten, denn Fußball sah man stehend, oder gleich auf der Couch bei Sky. Zwar gab es in einem durchschnittlichen Bundesliga Stadion deutlich mehr Sitz- als Stehplätze, und ließe man die Sitze leer, wäre die Bude nicht mal ansatzweise halb voll. Bestünde das Stadion wiederum nur aus Stehplätzen, würden viele gar nicht erst erscheinen, weil sie keine Lust dazu hatten oder nicht die körperlichen Voraussetzungen mitbrachten, um 90 Minuten Spielzeit plus Pause stehend zu verbringen. Den wahren Fan juckte das wenig, Stehen rulez, basta! Die Sitzkissenfraktion war somit quasi raus, wobei der Unterrang immer noch ein wenig mehr hermachte, als sein Pendant im Obergeschoss. Schließlich war man je weiter unten desto näher dran am Spielgeschehen, die da oben konsumierten den Verlauf der Partie doch eh nur aus der Vogelperspektive und konnten daher überhaupt nicht mitreden. Die Geraden zählten zwar offiziell zu den Heimseiten und wurden von Heimfans dominiert, galten aber inoffiziell als neutraler Bereich, in dem auch gelegentlich Fans der Gastmannschaft Platz fanden. Dieser Umstand trug dazu bei, dass sich ein wirklicher Heimfan dort niemals aufhalten würde, Seite an Seite mit den jeweils Unaussprechlichen, ein NoGo!

Wer etwas auf sich hielt und einen Gutteil seiner Zeit mit seinem Verein verbrachte, war Inhaber einer Dauerkarte für die Heimkurve, in welcher selbstredend gestanden und ausschließlich, per Definition der Stadionordnung als einziges gestattet, Heimfarben getragen wurden. Gesang und Hüpfbewegungen gehörten ebenso dazu, wie das Tragen von Schals und Kutten. Je mehr Jahre man dort bereits verbracht hatte, desto mehr und intensiverer Fan war man auch. Schließlich hatte man dann, was zB meinen Verein anging, die schweren Zeiten der Oberliga hautnah miterlebt, sich über Land auf den Weg von Acker zu Acker gemacht, und sich im besten Fall mit Fans der einzig wahren Borussia, nämlich denen des SC Borussia Freialdenhoven, gekloppt. Und da war man stolz drauf! Was wussten schon die Jungspunde der gefühlten Königsklasse: Die Ultras.

Die bei Wind, Wetter und sogar Minusgraden gelegentlich bis häufig oberkörperfreien Ultras hatten das Alleinstellungsmerkmal inne und stellten die logische Konsequenz dessen dar, was man benötigte, um ein ultimativer Fan zu sein. Sie schwenkten ihre Fahnen,die ihnen zwar zum Teil die eigene Sicht nahm, die aber unerlässlich zu ihrem Block gehörten, worauf bei Aufnahme in selbigen ob ihrer Wichtigkeit hingewiesen wurde. Sie erstellten und hielten Transparente in die Höhe, auf denen sie Lob und Unmut kundtaten, mal am eigenen Verein, mal am gegnerischen. Darauf auch gerne mal Kritik an Obrigkeiten wie dem DFB oder der Polizei übten, die sie an ihrer uneingeschränkten Freiheit, ihrem Selbstverständnis zur Selbstbestimmung in der Form des Auslebens ihrer Fankultur, zu hindern versuchten. Sie standen und fielen mitunter ein wenig mit dem Capo, der das Mikro innehatte, zeichneten sich aber durch ihre unbändige Sangeskunst, aus, welche der Sitzfraktion oder auch der Heimkurve wiederum mitunter gehörig auf den Sack ging, die nach minutenlangem, monotonen Ultra-Singsang zum Gegenschlag ausholte und es respektlos wagte, ein anderes Lied zu intonieren. Das endetet dann schon mal mit Ärger im Paradies und gestaltete sich so, dass die Blöcke sich zueinander wandten und wechselseitig singend erfragten: "Und Ihr wollt [yxz, der bessere Fan] sein?"

Ach ja, unten auf dem Rasen liefen währenddessen in der Regel Fußballspiele. Nun ja, manchmal gab es eben wichtigeres, was zuerst der Klärung bedurfte.

Ungeachtet all dessen trugen die Ultras maßgeblich zu den beeindruckenden und kreativen Choreos bei, die sie entweder alleine oder in Zusammenarbeit mit dem Supporter Club und der Heimkurve mit vielen helfenden Händen auf die Beine stellten. Sie engagierten sich, ebenso wie der Supporter Club, für soziale Hilfsprojekte, unterstützen erkrankte Mitfans und organisierten Benefiz-Turniere. Sie verschrieben sich dem Verein mit Haut und Haar, stellten dafür den Schulabschluss oder das Studium auch mal hintenan, man musste schließlich Prioritäten setzen. Die oberste Maxime war der Verein und die Vertretung seiner Interessen. Oder manchmal auch der eigenen, wer weiß das schon so genau. Sie waren die Antriebsfeder, die sich bemühte, den Rest des mehr oder minder lethargischen Fan-Sauhaufens zum Mitmachen zu bewegen, die unermüdlich und unablässig ihre Energie aufwanden, das eigene Team zum Sieg zu singen und eine ganze Arena zur Motivation aufforderten, den Saal zum Kochen zu bringen. Sie waren die, die sich regelmäßig zu Auwswärtsfahrten schon morgens um 6 trafen, manche mit der ersten Bierdose in der Hand, den Bus oder Zug besteigend, der sie zu all den entlegenen Orten brachte, an denen ihr Verein ihre Unterstützung brauchte. Dort angekommen und im Gästeblock versammelt, bedienten sie sich oft und gerne eines ihrer beliebtesten Stilmittel, der Pyrotechnik, welche für Pfiffe der jeweiligen Heimgäste sorgte und zu Abzügen in der B-Note führte, denn auch wenn Befürworter der Fackelkunst selbige hübsch anzusehen fanden, war ihre Nutzung leider verboten und zog grundsätzlich finanzielle Strafen nach sich, die der eigene Verein zu begleichen hatte. Ergo wars, aller Hingabe zu Trotz, Essig mit der Krone. Und überhaupt war der Block zum großen Teil mit Fans gefüllt, die noch in schulpflichtigem Alter waren. Folglich konnten sie sich in Freialdenhoven noch keine Sporen verdient haben und hatten das tiefste Leid des Vereins gar nicht persönlich miterlebt oder allenfalls zu dieser Zeit mit Windeln im Krabbelbett gelegen. Somit fehlte ihnen ein immens wichtiger Baustein zum ultimativen Fan-Dasein, es sei denn, ihre Eltern hatten sie im besagten Schnuller-Alter bereits mit über die Äcker geschleift, um dem Gebot "von Anfang an dabei" Genüge zu leisten.

In einem Punkt waren die meisten sich dann doch augenscheinlich einig, unabhängig davon, wie doof und als Fan unqualifiziert man sich gegenseitig fand: In der Kategorie "Geht gar nicht", hier bezeichnet als "Frühergeher und Häppchenesser." Die, die aus gebrechlichen und oder gehandicapten Gründen vorzeitig den Ground verließen, seien hiervon explizit ausgenommen. Aber die, die sich den Unmut aller zuzogen, wenn sie bei einem deutlichen Rückstand des Heimteams lange Minuten vor dem Schlusspfiff das Weite suchten, waren zumindest in meinem fußballerischen Zuhause nicht gerne gesehen und wurden mit lauten und deutlichenPfiffen bedacht. Entweder man stand mindestens einhundertzehn Prozent zu seinem Team, oder man ließ es ganz bleiben. Wenn man sich nur am Erfolg desselben erfreuen konnte, dann schmeckte mitunter angesichts eines erfolglosen Spielverlaufs selbst der Champagner bitter und die Schnittchen blieben im güldenen Halse stecken. Man hatte ja schließlich ein einhundertfünfzig Euro teures Vip Ticket, bezahlt, das einen einzig und allein dazu berechtigt, das in der heimischen Arena integrierte Parkhaus zu nutzen, nebst des Genusses kulinarischen Köstlichkeiten. Und da möge das gastgebendes Team doch bitte den eigenen Ansprüchen genügen und einen bravourösen Heimsieg einfahren, ansonsten fuhr man mit dem SUV schneller aus dem P7 raus, als die verdutzten Ordner gucken konnten und man dachte bei sich, lamentiert und protestiert Ihr mal, Ihr Schreihälse im Unterrang, würden wir nicht die teuren Logen mieten, wäre Eure Aktion "Kein Zwanni für nen Steher" erfolglos im Sande verlaufen.

Und dann verblieb noch riesige Schar derer, die, zwar eigentlich bereits disqualifiziert, da nie, kaum oder nur selten anwesend, diesen Mangel aber damit kompensierten, in dem sie sich ein teures Bundesliga Paket bei Sky mieteten, um keines der Spiele des Lieblingsvereins zu verpassen, die Kredite dafür aufnahmen, um die Kassen des Merch-Shops glühen zu lassen und ihn bis an die Grenzen der Lagerkapazität leer zu kaufen, die Mitglied ihres Vereins waren, und das nicht nur, um beim Vorverkauf bevorzugt an Karten zu gelangen, sondern einfach, weil sie stolz darauf waren, Teil ihres Vereins zu sein. Die zwar nicht die Tribünen rockten, dafür aber vor dem TV dermaßen wild ausrasteten, bis der weniger fußball-affine Nachbar erbost zum Besenstiel griff und damit an die Decke klopfend um etwas mehr Contenance bat.

Ja, und wer war er nun? Der, alle Pro und Contra Argumente berücksichtigend, wirklich allerallerallerbeste, einzig wahre Fan? Vielleicht jener, der gar nicht beabsichtigte, sein persönliches Fan-Dasein mit der Gewissheit zu krönen, dass er alle Voraussetzungen für eine solche Krone mitbrachte. Derjenige, der sich nicht mit anderen verglich und sie in verschiedene Wertigkeit unterteilte, sondern einfach das Beste tat, das ihm möglich war, um seinen Verein zu unterstützen, abhängig von der persönlichen Lebenssituiation, der Örtlichkeit, der finanziellen Lage, dem körperlichen Befinden und dem zur Verfügung stehenden Zeitfenster. Wenn jeder Fan das beisteuerte, was er zu geben in der Lage war, ergab dieser gemeinsame Verbund den 12. Mann. Es war gar nicht nötig zu überlegen, wer was wann wo mehr oder weniger, besser oder schlechter tat. Jeder, der sich auf seine Art einbrachte, trug ein Stück zum Ganzen bei und ergänzte das, was einem anderen aus irgendeinem Grund nicht möglich war.

Schlussendlich brauchte es weder eine Krone, noch befanden wir uns in einem Wettstreit. Wir verfolgten alle dasselbe Ziel, nämlich unseren Verein zu unterstützen. Das war die Gemeinsamkeit, die uns verband. Wozu also streiten?



Fortuna Düsseldorf. Meine Liebe, mein Verein.


2 Kommentare:

  1. Grandioser Beitrag! Und so auf so ziemlich jeden Verein übertragbar. Sollte eigentlich jeder Stadionbesucher jedes Vereins lesen und mal sacken lassen. Danke dafür! :)

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