Dienstag, 23. September 2014

Gastbeitrag der @SGAE1: Wenn Farben sich mischen



Fußball – einnehmend, um sich greifend, allgegenwärtig. Okkult für diejenigen, die den Zugang nicht finden. Fesselnd für die, die er mitreißt und die sich an ihm berauschen. Ein Mysterium, ja, auch das. Ein Phänomen, das höchstwahrscheinlich niemals in seinem vollen Umfang zu enträtseln ist, aber eines, dessen Erscheinungen zu durchdringen sich lohnt.

Fußball ist Faszination. Fußball ist Begeisterung. Fußball ist Leidenschaft und Liebe. Fußball ist Lust und Fußball ist Laune, Spannung, Freude, Traurigkeit, Freundschaft, Konkurrenz und Gemeinschaft, Egoismus und Solidarität. Fußball ist so vieles, und das, was er ist, projiziert er für so viele auf die Inkarnationen, auf die es ihnen ankommt: auf den eigenen Verein, das eigene Wappen, die eigenen Farben.

Abgrenzungen werden einfach. Es sind meine Farben und mein Verein, die allein das Recht für sich beanspruchen dürfen, in den Olymp des Fußballs aufzusteigen, und für die der Anspruch auf den Sieg zur festen unbestreitbaren Größe avanciert. Die Ausschließlichkeit, die dieser Intention innewohnt, beschreibt das Hauptziel an sich, das Streben nach Erfolg, und sie beschreibt den unbeirrbaren Willen der Fans, ihren Verein und ihre Farben gewinnen zu sehen. Ohne die Absolutheit ginge der Reiz verloren, der unbändige Vorwärtsdrang in eine gemütliche Landpartie und der belebende Rausch in ein seichtes Rauschen über.

Es mag zuerst widersprüchlich klingen, wenn man nun behauptet, dass die Verbundenheit zum eigenen Verein in ihrer Absolutheit den großen Schulterschluss in grenzüberschreitenden Dimensionen überhaupt erst möglich macht. Kein Nervenkitzel ohne Widersacher. Kein Fußball ohne die anderen, die Gegner, die für ihre Farben nur das Beste wollen. Begreift man das, verwandeln sich Barrieren ganz plötzlich in Brücken, taugen Inhalte der Andersfarbigen zu Argumenten fürs Ganze, werden die Farben aller zu Symbolen eines riesigen Bündnisses, nicht und niemals für die 90 Minuten, aber davor und danach und darüber hinaus. Wenn die Farben sich mischen, dann wächst Fankult zur #Fankultur, die Unvereinbarkeiten nur dann kennt, wenn das Runde ins Eckige muss, und ansonsten das zelebriert, was uns gleichzeitig trennt und verbindet: dass das Runde ins Eckige muss.

Nur wenn Farben sich mischen, ist Fußball einnehmend, um sich greifend, allgegenwärtig. Nur wenn Farben sich mischen dürfen, fasziniert und begeistert er. Nur wenn Farben sich mischen, machen Liebe und Leidenschaft für mein eigenes Kolorit einen Sinn. Nur wenn Farben sich mischen, können #Fankultur und #Fußballkultur leuchtend erblühen. Das mag dann ganz anderen immer noch okkult vorkommen. Aber das, zur Hölle, ist nicht unser Fehler und vielleicht das Thema eines anderen Blog-Beitrags.


Zum Dank an @nick_f95 dafür, dass unsere Farben sich mischen.



@SGAE1

Freitag, 19. September 2014

Der beste Fan



Eine immer und allseits beliebte Diskussion bezog sich auf die Frage, wer für sich beanspruchen durfte, der einzig wahre und wirkliche Fan zu sein. Der echte und wahrhaftige, der, der es ganz allein verdiente, sich mit dieser Bezeichnung schmücken zu dürfen.

Klar im Vorteil war vermutlich der, der schon immer, also von frühester Kindheit an, Fan eines Vereins gewesen ist. Der, dessen Eltern ihn direkt nach der Geburt bei dem erwählten Verein als Mitglied angemeldet hatten, bei dem sie selbst bereits von Kindesbeinen an...., wie ihre Eltern... und so weiter.

Das ließe sich beliebig fortführen, zumindest bis zum Gründungsjahr des jeweiligen Vereins, der, und auch das war von Vorteil, mindestens seit hundert oder mehr Jahren in seiner jetzigen Form existierte. Anhänger eines Vereins, den es erst weitaus weniger Jahre gab, hatten leider Pech, denn Tradition wächst schließlich nicht auf Bäumen, sondern nur über einen äußerst sehr unglaublich langen Zeitraum hinweg und war angefüllt mit einer Historie bestehend aus Zeiten der Erfolge, Aufstiegen, gewonnen Pokalen, Meistertiteln oder aber auch Niederlagen, Abstiegen, Skandalen und weiteren düsteren Kapiteln.

War man nun besagtes Glückskind, dessen Erziehungsberechtigte einen bereits mit ins heimische Stadion nahmen, als man als einziges Accessoire einen monofarbenen Schnuller im Mund trug, heutzutage natürlich stilecht mit entsprechendem Vereinslogo verziert, passend abgestimmt zum Kidstrikot in Größe Baby-XXS, abgerundet mit Schlabberlatz und überdimensionalen Lärmschutz-Kopfhörern, ja dann war bereits ein wichtiges Kriterium erfüllt: Man war von Anfang an dabei! Dies war nur noch zu toppen, in dem man Fan seit der allerersten Stunde des Vereins war. Hier wiederum waren die die Gewinner, deren Verein noch jung an Jahren war. Die Traditionalisten konnten sich noch so sehr mühen, jedes fortschreitende Jahr ihres Vereins zu begleiten. Die verdammte Medizin schaffte es einfach nicht, lebensverlängernde Maßnahmen zu erfinden, die einen unsterblich machten. Beispielsweise Einhundertsiebzehn Jahre oder länger hielt der menschliche Körper in den seltensten Fällen durch, tja, da war leider nichts zu machen. Sollte sich die, nach letztem Kenntnisstand noch lebende, japanische Dame Misao Okawa, die 1898 das Licht der Welt erblickte, einer aktiven, gesunden und erfüllten Fankarriere erfreuen, wäre sie das von allen echten Fans angestrebte Nonplusultra, das es zu erreichen galt.

Wenn man also nun seine gesamte Kindheit damit verbracht hatte, Spielen seines Vereins beizuwohnen, war man bestens gerüstet, um weiter am Erwerb des Titels "Bester Fan" zu arbeiten. Diejenigen, die sich dummerweise einem Verein angeschlossen hatten, der nicht an ihrem Heimatort kickte, sondern am anderen Ende der Republik oder gar im Ausland, hatten sich bereits disqualifiziert, denn ihnen war es logistisch nahezu unmöglich, sämtliche Partien live und vor Ort anzusehen. Das gleiche galt für jene, die es wagten, von dem Ort wegzuziehen, an dem ihr Verein ansässig war, sei es nun familiär oder beruflich bedingt. Keine Ausrede war legitim, wem sein Verein nicht oberstes Gebot war, der brauchte den Kampf um das Erbe Krone gar nicht erst anzutreten.

Werfen wir nun einen Blick in ein gutgefülltes Stadion an einem normalen Bundesliga Spieltag. Die gegnerischen Fans waren hierbei vernichtend zu ignorieren, trugen sie doch per se die falschen Farben und/ oder das verkehrte Vereinsemblem, sangen gehaltlose Lieder, die man zum Glück akustisch und inhaltlich sowieso kaum verstand, waren im Vergleich zur Menge der Heimfans in nur popeliger Anzahl vertreten und allenfalls dazu zu gebrauchen, dass man sie mit Schmähgesängen bedenken konnte. Somit verblieben die Gerade und Gegengerade, der Unter- und der Oberrang, die Heimkurve und der Ultra-Block.

Ein lustiges reihum-mit-dem-Finger-auf-alle-anderen-zeigen konnte seinen Lauf nehmen, entsprechend einer Hierarchie, die man sich vielleicht in etwa so vorstellen könnte, beginnend damit, dass alle die, die saßen, schon mal gar keine Ahnung hatten, denn Fußball sah man stehend, oder gleich auf der Couch bei Sky. Zwar gab es in einem durchschnittlichen Bundesliga Stadion deutlich mehr Sitz- als Stehplätze, und ließe man die Sitze leer, wäre die Bude nicht mal ansatzweise halb voll. Bestünde das Stadion wiederum nur aus Stehplätzen, würden viele gar nicht erst erscheinen, weil sie keine Lust dazu hatten oder nicht die körperlichen Voraussetzungen mitbrachten, um 90 Minuten Spielzeit plus Pause stehend zu verbringen. Den wahren Fan juckte das wenig, Stehen rulez, basta! Die Sitzkissenfraktion war somit quasi raus, wobei der Unterrang immer noch ein wenig mehr hermachte, als sein Pendant im Obergeschoss. Schließlich war man je weiter unten desto näher dran am Spielgeschehen, die da oben konsumierten den Verlauf der Partie doch eh nur aus der Vogelperspektive und konnten daher überhaupt nicht mitreden. Die Geraden zählten zwar offiziell zu den Heimseiten und wurden von Heimfans dominiert, galten aber inoffiziell als neutraler Bereich, in dem auch gelegentlich Fans der Gastmannschaft Platz fanden. Dieser Umstand trug dazu bei, dass sich ein wirklicher Heimfan dort niemals aufhalten würde, Seite an Seite mit den jeweils Unaussprechlichen, ein NoGo!

Wer etwas auf sich hielt und einen Gutteil seiner Zeit mit seinem Verein verbrachte, war Inhaber einer Dauerkarte für die Heimkurve, in welcher selbstredend gestanden und ausschließlich, per Definition der Stadionordnung als einziges gestattet, Heimfarben getragen wurden. Gesang und Hüpfbewegungen gehörten ebenso dazu, wie das Tragen von Schals und Kutten. Je mehr Jahre man dort bereits verbracht hatte, desto mehr und intensiverer Fan war man auch. Schließlich hatte man dann, was zB meinen Verein anging, die schweren Zeiten der Oberliga hautnah miterlebt, sich über Land auf den Weg von Acker zu Acker gemacht, und sich im besten Fall mit Fans der einzig wahren Borussia, nämlich denen des SC Borussia Freialdenhoven, gekloppt. Und da war man stolz drauf! Was wussten schon die Jungspunde der gefühlten Königsklasse: Die Ultras.

Die bei Wind, Wetter und sogar Minusgraden gelegentlich bis häufig oberkörperfreien Ultras hatten das Alleinstellungsmerkmal inne und stellten die logische Konsequenz dessen dar, was man benötigte, um ein ultimativer Fan zu sein. Sie schwenkten ihre Fahnen,die ihnen zwar zum Teil die eigene Sicht nahm, die aber unerlässlich zu ihrem Block gehörten, worauf bei Aufnahme in selbigen ob ihrer Wichtigkeit hingewiesen wurde. Sie erstellten und hielten Transparente in die Höhe, auf denen sie Lob und Unmut kundtaten, mal am eigenen Verein, mal am gegnerischen. Darauf auch gerne mal Kritik an Obrigkeiten wie dem DFB oder der Polizei übten, die sie an ihrer uneingeschränkten Freiheit, ihrem Selbstverständnis zur Selbstbestimmung in der Form des Auslebens ihrer Fankultur, zu hindern versuchten. Sie standen und fielen mitunter ein wenig mit dem Capo, der das Mikro innehatte, zeichneten sich aber durch ihre unbändige Sangeskunst, aus, welche der Sitzfraktion oder auch der Heimkurve wiederum mitunter gehörig auf den Sack ging, die nach minutenlangem, monotonen Ultra-Singsang zum Gegenschlag ausholte und es respektlos wagte, ein anderes Lied zu intonieren. Das endetet dann schon mal mit Ärger im Paradies und gestaltete sich so, dass die Blöcke sich zueinander wandten und wechselseitig singend erfragten: "Und Ihr wollt [yxz, der bessere Fan] sein?"

Ach ja, unten auf dem Rasen liefen währenddessen in der Regel Fußballspiele. Nun ja, manchmal gab es eben wichtigeres, was zuerst der Klärung bedurfte.

Ungeachtet all dessen trugen die Ultras maßgeblich zu den beeindruckenden und kreativen Choreos bei, die sie entweder alleine oder in Zusammenarbeit mit dem Supporter Club und der Heimkurve mit vielen helfenden Händen auf die Beine stellten. Sie engagierten sich, ebenso wie der Supporter Club, für soziale Hilfsprojekte, unterstützen erkrankte Mitfans und organisierten Benefiz-Turniere. Sie verschrieben sich dem Verein mit Haut und Haar, stellten dafür den Schulabschluss oder das Studium auch mal hintenan, man musste schließlich Prioritäten setzen. Die oberste Maxime war der Verein und die Vertretung seiner Interessen. Oder manchmal auch der eigenen, wer weiß das schon so genau. Sie waren die Antriebsfeder, die sich bemühte, den Rest des mehr oder minder lethargischen Fan-Sauhaufens zum Mitmachen zu bewegen, die unermüdlich und unablässig ihre Energie aufwanden, das eigene Team zum Sieg zu singen und eine ganze Arena zur Motivation aufforderten, den Saal zum Kochen zu bringen. Sie waren die, die sich regelmäßig zu Auwswärtsfahrten schon morgens um 6 trafen, manche mit der ersten Bierdose in der Hand, den Bus oder Zug besteigend, der sie zu all den entlegenen Orten brachte, an denen ihr Verein ihre Unterstützung brauchte. Dort angekommen und im Gästeblock versammelt, bedienten sie sich oft und gerne eines ihrer beliebtesten Stilmittel, der Pyrotechnik, welche für Pfiffe der jeweiligen Heimgäste sorgte und zu Abzügen in der B-Note führte, denn auch wenn Befürworter der Fackelkunst selbige hübsch anzusehen fanden, war ihre Nutzung leider verboten und zog grundsätzlich finanzielle Strafen nach sich, die der eigene Verein zu begleichen hatte. Ergo wars, aller Hingabe zu Trotz, Essig mit der Krone. Und überhaupt war der Block zum großen Teil mit Fans gefüllt, die noch in schulpflichtigem Alter waren. Folglich konnten sie sich in Freialdenhoven noch keine Sporen verdient haben und hatten das tiefste Leid des Vereins gar nicht persönlich miterlebt oder allenfalls zu dieser Zeit mit Windeln im Krabbelbett gelegen. Somit fehlte ihnen ein immens wichtiger Baustein zum ultimativen Fan-Dasein, es sei denn, ihre Eltern hatten sie im besagten Schnuller-Alter bereits mit über die Äcker geschleift, um dem Gebot "von Anfang an dabei" Genüge zu leisten.

In einem Punkt waren die meisten sich dann doch augenscheinlich einig, unabhängig davon, wie doof und als Fan unqualifiziert man sich gegenseitig fand: In der Kategorie "Geht gar nicht", hier bezeichnet als "Frühergeher und Häppchenesser." Die, die aus gebrechlichen und oder gehandicapten Gründen vorzeitig den Ground verließen, seien hiervon explizit ausgenommen. Aber die, die sich den Unmut aller zuzogen, wenn sie bei einem deutlichen Rückstand des Heimteams lange Minuten vor dem Schlusspfiff das Weite suchten, waren zumindest in meinem fußballerischen Zuhause nicht gerne gesehen und wurden mit lauten und deutlichenPfiffen bedacht. Entweder man stand mindestens einhundertzehn Prozent zu seinem Team, oder man ließ es ganz bleiben. Wenn man sich nur am Erfolg desselben erfreuen konnte, dann schmeckte mitunter angesichts eines erfolglosen Spielverlaufs selbst der Champagner bitter und die Schnittchen blieben im güldenen Halse stecken. Man hatte ja schließlich ein einhundertfünfzig Euro teures Vip Ticket, bezahlt, das einen einzig und allein dazu berechtigt, das in der heimischen Arena integrierte Parkhaus zu nutzen, nebst des Genusses kulinarischen Köstlichkeiten. Und da möge das gastgebendes Team doch bitte den eigenen Ansprüchen genügen und einen bravourösen Heimsieg einfahren, ansonsten fuhr man mit dem SUV schneller aus dem P7 raus, als die verdutzten Ordner gucken konnten und man dachte bei sich, lamentiert und protestiert Ihr mal, Ihr Schreihälse im Unterrang, würden wir nicht die teuren Logen mieten, wäre Eure Aktion "Kein Zwanni für nen Steher" erfolglos im Sande verlaufen.

Und dann verblieb noch riesige Schar derer, die, zwar eigentlich bereits disqualifiziert, da nie, kaum oder nur selten anwesend, diesen Mangel aber damit kompensierten, in dem sie sich ein teures Bundesliga Paket bei Sky mieteten, um keines der Spiele des Lieblingsvereins zu verpassen, die Kredite dafür aufnahmen, um die Kassen des Merch-Shops glühen zu lassen und ihn bis an die Grenzen der Lagerkapazität leer zu kaufen, die Mitglied ihres Vereins waren, und das nicht nur, um beim Vorverkauf bevorzugt an Karten zu gelangen, sondern einfach, weil sie stolz darauf waren, Teil ihres Vereins zu sein. Die zwar nicht die Tribünen rockten, dafür aber vor dem TV dermaßen wild ausrasteten, bis der weniger fußball-affine Nachbar erbost zum Besenstiel griff und damit an die Decke klopfend um etwas mehr Contenance bat.

Ja, und wer war er nun? Der, alle Pro und Contra Argumente berücksichtigend, wirklich allerallerallerbeste, einzig wahre Fan? Vielleicht jener, der gar nicht beabsichtigte, sein persönliches Fan-Dasein mit der Gewissheit zu krönen, dass er alle Voraussetzungen für eine solche Krone mitbrachte. Derjenige, der sich nicht mit anderen verglich und sie in verschiedene Wertigkeit unterteilte, sondern einfach das Beste tat, das ihm möglich war, um seinen Verein zu unterstützen, abhängig von der persönlichen Lebenssituiation, der Örtlichkeit, der finanziellen Lage, dem körperlichen Befinden und dem zur Verfügung stehenden Zeitfenster. Wenn jeder Fan das beisteuerte, was er zu geben in der Lage war, ergab dieser gemeinsame Verbund den 12. Mann. Es war gar nicht nötig zu überlegen, wer was wann wo mehr oder weniger, besser oder schlechter tat. Jeder, der sich auf seine Art einbrachte, trug ein Stück zum Ganzen bei und ergänzte das, was einem anderen aus irgendeinem Grund nicht möglich war.

Schlussendlich brauchte es weder eine Krone, noch befanden wir uns in einem Wettstreit. Wir verfolgten alle dasselbe Ziel, nämlich unseren Verein zu unterstützen. Das war die Gemeinsamkeit, die uns verband. Wozu also streiten?



Fortuna Düsseldorf. Meine Liebe, mein Verein.


Donnerstag, 18. September 2014

Was uns verbindet

Mein Gastbeitrag für den Blog des Vereins SG Altenhaßlau/ Eidengesäß, kurz SGAE01, zum Thema "Fußball ist Liebe, Fußball ist Leidenschaft, Fußball verbindet."

http://www.sgae01.de/blog/1010-nick-f95-was-uns-verbindet




Freitag, 5. September 2014

Schwarz und weiß. Oder?


Der Ligabetrieb hatte Fahrt aufgenommen und bestimmte endlich wieder meinen Alltag. Dennoch ruhte er nun erneut, da er Test- und Qualifikationsspielen der Nationalmannschaft Platz einräumen musste. Eines dieser Spiele fand in Düsseldorf in der Arena meiner Fortuna statt. Der Termin stand frühzeitig fest und versprach mir, meine Lieblinge Mesut Özil und Lionel Messi vereint auf heimischem Rasen spielen zu sehen, da die Mannschaft Argentiniens als Gast unserer N11 auserkoren worden war. Ich besorgte mir also Tickets für dieses besondere Ereignis, schluckte gewaltig ob der gesalzenen, vom DFB festgelegten Preise, die den für die Plätze, die ich auch sonst per Dauerkarte bei Fortuna Spielen innehatte, um ein dreifaches überstiegen, aber freute mich, dass ich würde dabei sein können.

Ich erwarb die Karten zu einem Zeitpunkt, als sich die WM noch in der Vorrunde befand und nicht im Mindesten abzusehen war, wie sie ausgehen würde. Schlussendlich wurden wir bekanntermaßen Weltmeister und Argentinien ergab sich der Rolle des Vize. Nun kam es also zu einer Neuauflage dieser Partie, wenngleich ohne deren tragenden Bedeutung, die sie noch 52 Tagen zuvor innegehabt hatte. Man traf rein freundschaftlich aufeinander, dennoch galt es, ein Prestige zu verteidigen oder aber erneut zu erwerben, angesichts dieser speziellen Konstellation.

Gut gelaunt machte ich mich auf den Weg, hatte beschlossen, diesmal die Rheinbahn für die Anfahrt in Anspruch zu nehmen und traf beim Umsteigen am Düsseldorfer Hauptbahnhof auf jede Menge Menschen, die das Trikot trugen, auf dem der vierte, frisch erworbene Stern prangte. Man war wieder wer, schließlich war man amtierender Weltmeister. Das war vermutlich noch gewichtiger, als dass man mal Papst gewesen war. Dieser wiederum hatte sein Amt bereits abgelegt und der danach neu gewählte war ein Ehrenmitglied des TSV 1860 München. Aber das ist eine andere Geschichte.

Erfolg macht bekanntlich sexy, dementsprechend war die Arena tatsächlich ausverkauft und die Massen strömten durch die Eingänge ins Innere. Bereits auf den Gängen innen vor den Blockzugängen fing ich an zu fremdeln. Es erinnerte mich an ein Gefühl, dass mich schon einmal beschlichen hatte, als ich einem Boxkampf beigewohnt hatte, der durch den Namen Klitschko geprägt war, der seinem Gegenüber im Ring nach wenigen Runden das Aus beschert hatte, nachdem ich gefühlte 5 Stunden Vorprogramm in dieser, unserer Arena über mich hatte ergehen lassen müssen, inmitten eines Publikums, das so gar nicht dem entsprach, das hier sonst die Ränge füllte.

Leider lebte ich mit dem Fluch, dass unsere Arena gar nicht die allein Unsrige war, sondern mein Verein nur der Hauptmieter Selbiger ist. Ansonsten muss sich die 250 Mio Multifunktions-Arena um weitere Umsätze bemühen, um ihre Kosten annähernd in den Griff zu bekommen. Dementsprechend war hinzunehmen, dass kommerziell zu vermarktende Events in ihr stattfanden, die Fans anzogen, die ich dort sonst nicht gewohnt war und die auch gerne mal bei Konzerten unseren heiligen Rasen kaputt traten, auf den notdürftig Holzplatten aufgelegt wurden, auf denen tausende Menschen nebst in entsprechender Anzahlt aufgestellten Dixi Klos Platz fanden.

Nun aber galt es, sich einem Fußballspiel zu widmen. Ich fand den mir vertrauten Sitz in meinem Block. Aber damit endete jegliche Vertrautheit. Meine Umgebung war durch "Fremde" besetzt. Blöcke, in die ich sah, glichen nicht mehr denen, wie sie mir bekannt waren. Menschen nahmen in ihnen Platz, die ich nie zuvor gesehen hatte. Die Arena war komplett und eigens für diese Veranstaltung vollständig bestuhlt worden. Unsere Südtribüne, für die f95 Heimfans so lange und erfolgreich um Stehplätze gekämpft hatten, war kurzerhand umfunktioniert worden. Und der an meinen Block angrenzende, mir am Herzen liegende Block 42, den unsere Ultras sonst verwalten und bewohnen, bot ebenfalls ein gewissermaßen artfremdes Bild. Kein Banner, kein Transparent, keine Fahne wies darauf hin, wer da normalerweise beheimatet war.

Es bot sich ein ungewohntes Bild. Mein Wohnzimmer hatte sich verkleidet. Der Blick durchs Rund zeigte nicht das üblich dominierende Rot-Weiß, stattdessen bestimmten hauptsächlich weiße N11 Trikots den optischen Eindruck. Der Rasen wurde von von deutschen Fahnen gesäumt, eine Blaskapelle marschierte auf, Nationalspieler, die sich dazu entschieden hatten ihre aktive Karriere zu beenden, wurde der zu Recht ehrenvolle Boden bereitetet, was mir den einzigen Gänsehautmoment des Abends bescherte, als Miro Klose, the Living Legend, mit tosendem Beifall empfangen bzw verabschiedet wurde. Eine ZDF- kompatible Choreo wurde vom Oberrang präsentiert, ein jeder hielt brav sein zuvor auf dem Stuhl bereit gelegtes, farblich abgestimmtes Stück Kunststoff hoch, das im Gesamtbild die Jahreszahlen der Titelgewinne sowie das Wort "Weltmeister" auf der Gegengeraden in schwarzen Lettern auf weißem Grund ergaben. Freilich nur in dem Teil des Oberrangs, den die auf der anderen Seite positionierten Kameras medienwirksam erfassten. Es erinnerte mich an einige unserer Heimspiele, an denen neue Sponsoren zu Beginn einer Saison auf jedem Platz kleine Fähnchen hatten verteilen lassen, damit die geneigte Masse zu Spielbeginn fröhlich und werbeträchtig damit würde wedeln mögen.

Irgendwann war das offizielle Eröffnungs-Brimborium absolviert und es konnte endlich losgehen. Meine beiden Lieblinge fehlten zwar verletzungsbedingt, aber der Ball rollte. Und dann passierte etwas sehr seltsames, das ich so noch nie erlebt hatte. Es war still. So unheimlich still, dass man hören konnte, wie sich Leute in angrenzenden Blöcken miteinander unterhielten. Das zu Spielbeginn frenetische Jubelklatschen ebbte im Eiltempo ab, die Menge legte die Hände in den Schoß und konsumierte den Spielverlauf mehr oder weniger kommentarlos, nur unterbrochen von einigen Ahs und Ohs, wenn sich ein Spieler dem Tor näherte und in selbiges hineinschoss. Oder auch daran vorbei. Es mag daran gelegen haben, dass die Argentinier durch ein Messi'eskes Traumtor von Di Maria in Führung gingen und eben diese Führung durch ein weiteres Tor ausbauten, es also vermeintlich keinen Anlass gab, die noch vor kurzem gefeierten WM Helden zu supporten, auch wenn sich einige Zuschauer dazu entschieden hatten, ihre Lethargie mittels rhythmischen Sekundenklatschens zu durchbrechen. So geht der Deutsche. Also, aus sich raus.

Getanzt und gefeiert wurde nur auf Seiten der Argentinier, die die Hüften schwangen und in ihre körpergroßen Flaggen gehüllt stolz Arien in ihrer Landessprache von sich gaben und, sich hochreckend und hüpfend, "So geh'n die Gouchos!" ins stille Rund schmetterten . Ein einsamer Trommler irgendwo im Oberrang versuchte tapfer, Stimmung auf der Heimseite zu erzeugen, mit mäßigem Erfolg.

Ich war gewohnt, dass die eigene Mannschaft gerade dann lautstark mit Gesang und vollem Einsatz aller zur Verfügung stehenden Stimmbänder und Hände unterstützt wird, wenn sie zurückliegt. Nun wurde sie stattdessen beschimpft und ausgepfiffen und das bereits in der ersten Halbzeit. Zum ersten Mal in meinem gesamten Fan-Dasein erwog ich, die Arena vor Spielende zu verlassen. Was hatte man erwartet? Ein "brasilianisches" 7:1, mindestens? Spieler, die bis an ihre Belastungsgrenzen und darüber hinaus gehen und sich die Knochen kaputt schinden, obwohl sie sich im laufenden Ligabetrieb befanden und die an diesem Abend lediglich ein unbedeutendes Testspiel bestritten? Musste Blut fließen, damit die Helden sich auch als solche unter Beweis stellten?

Auch im Vereinsfußball war nicht immer alles eitel Sonnenschein. Mal wurde mehr supportet, mal weniger. Mal gelang es, die Geraden mit einzubeziehen, mal nicht. Und auch Pfiffe kamen vor. Aber die Spiele wurden gelebt. Sie wurden lautstark besungen, es wurde gelacht, geschrien, gepöbelt, geschimpft, geklatscht, man bewegte sich, ging mit, schwenkte Fahnen, zeigte Transparente, um Botschaften zu vermitteln, durchlebte Freude, Siegesglück oder Trauer oder manchmal auch Wut, wenn es eben nicht so lief. Man war Teil seines Vereins, Teil seiner Mannschaft, Teil der großen Fanfamilie. Aufwändige Choreos wurden von Fans gestaltet, die nicht so aussahen, als hätte sie eine Werbeagentur im Auftrag des DFB entworfen, damit sie im TV gut aussehen.

Ebenso war die WM gelebt worden, nur mit anderen Stilmitteln. Sie war laut und bunt daher gekommen, je nach Nation in farbigen Trikots und exzentrischen Kostümierungen, die Zuschauer besangen ihre Mannschaften und feuerten sie mit Tröten und Trommeln an. La Ola Wellen liefen durch die Ränge, es wurde getanzt und gefeiert, manchmal allein schon ob des Glücks darüber, dass das eigene Team überhaupt teilnahm.

Ob man nun die eine oder andere Art Ausleben des Fanseins bevorzugte, blieb eine Entscheidung, die jeder für sich traf. Der Eine fand La Olas im Fußball deplatziert, den Anderen störte der Ultra- Dauergesang. Ich persönlich bevorzugte die Liga- und Vereinsfussball-Variante, gewann dem fröhlichen Miteinander internationaler Turniere aber durchaus auch viel ab.

Aber jene passive und stille Teilnahmlosikeit, die über weite Strecken in der Arena herrschte, war mir gänzlich fremd. Sonst hatte ich immer Mühe, meinen Platznachbarn zu verstehen, wenn er mir etwas ins Ohr brüllte, während ein Spiel lief. An diesem Abend hätte ich manchmal die sprichwörtliche Stecknadel fallen hören können. Mein Wohnzimmer war nicht mehr meins, so kannte und wollte ich es nicht. Einzig Freude empfand ich darüber, manche Spieler aus der Nähe zu sehen, die ich üblicherweise, als Fan eines Zweitligisten, sonst nur mittels TV Übertragungen der Bundesliga oder internationaler Ligen zu Gesicht bekam.

Vier Tore fielen noch. Für die zwei, die Jogis Jungs erzielten, wurde dann doch noch kurzzeitig der Jubelperser ausgerollt. Die der Argentinier wurden trotzig mit "Die Nummer Eins der Welt sind wir!"-Gesang quittiert, was mir etwas albern vorkam. Zumindest stellte es eine Erweiterung des N11 Liedgut- Repertoires um ein weiteres Stück dar, ansonsten beschränkte man sich auf gelegentliches "Deutschland, Deutschland".

Als Tormusik für die N11 war "Schwarz und Weiß" ausgewählt worden. Mal abgesehen davon, dass ich sehr dankbar dafür war, dass ich zuhause sonst niemals Klänge dieses unsäglichen Möchtegern-Comedians, dem selbstherrlichen sowie selbsternannten Fanszenen-Experten, ertragen musste, stellte ich mir die Frage, ob wir, die Fans, tatsächlich eine Gemeinschaft waren, die ihnen, den schwarz und weiß Gewandeten, zur Seite standen. Mir kam es an dem Abend eher vor, als gäbe es nur ein Schwarz oder Weiß, im Fall des Sieges grenzenloser Jubel, trat aber das Gegenteil ein, wurde unversehends zerpflückt, was man vor wenigen Wochen noch auf einen Thron gehievt hatte, der quasi bis in den Himmel reichte. Die Helden der Nation, die den deutschen Fußball in den nationalen und internationalen Fokus gestellt hatten. Funktionierten sie nicht nach Wunsch, war es schlagartig vorbei mit der alles überschwappenden Begeisterung, die Zuneigung wurde mit sofortiger Wirkung entzogen und durch Unmut und Ärger ersetzt. Dieses Entweder-Oder, bar jeglicher Abstufungen oder Schattierungen dazwischen, verwirrte mich. Ich stellte mir das so vor, dass es Einige gab, die tatsächlich nur Länderspiele verfolgten. Da die nun viel seltener stattfanden als Ligaspiele und mit wesentlich längerem Abstand dazwischen, lagen diese Hop-oder-Top Reaktionen darauf nahe, denn es gab ja keine kompletten Saisons, an denen man jedes Wochenende damit verbrachte, mit seinem Lieblingsverein zu leben und zu leiden und die Zeit zwischen den Spieltagen dazu nutzte, um über ihn zu sinnieren.

Begeisterungsfähige N11 Fans gab es zuhauf, das war unbestritten. Nur in Düsseldorf hatten viele offenbar ihre Feierlaune zuhause gelassen. Immerhin bedachte man die Mannschaft nach Spielende noch mit einigermaßen versöhnlichem Applaus, denn zwei Tore waren besser als gar keines, auch wenn das Spiel an sich vielleicht nicht das ganz große Glanzstück und zudem ohne Sieg gewesen war.

Die Heimfahrt gestaltete sich entsprechend, kein wildes Durcheinander-Geschnatter war zu vernehmen, Gesänge auf das eigene Team blieben aus. Jeder zog seines Wegs, es war spät und am nächsten Tag mussten die Meisten wohl vermutlich arbeiten gehen. Ich ließ das Erlebte Revue passieren und fasste den Entschluss, dass Ich keine Länderspiele mehr live in Stadien anschauen würde, die nicht im Rahmen eines Turniers stattfanden. Jeder Jeck ist anders und das ist auch vollkommen legitim. Nur für mich war das eben einfach nichts. Ich konnte Fußballspiele nicht einfach über mich ergehen lassen. Und ich wollte das auch nicht.

Ich freute mich auf den Tag, an dem das nächste Heimspiel meiner Fortuna stattfinden würde. Sie würde wieder Einzug halten in ihr und unser Zuhause und würde es mit Leben füllen. Mein Herz würde für sie schlagen, mit Inbrunst und Gänsehaut würde ich für sie singen und alles für sie geben, zu dem ich imstande war. Ich brauchte diese Liebe zu ihr, durch sie spürte ich mich und fühlte mich lebendig. Die Fortuna machte mich glücklich oder ärgerte mich. Sie ließ mich feiern oder traurig sein. Alles war gut, denn ich konnte ihr mitteilen, was ich empfand. Ich konnte es ihr zeigen und Anteil an ihr nehmen. Und mit mir all die vielen anderen Fortunen, die sich ihr verschrieben hatten. Wir alle pflegten unsere Beziehung zu ihr. Es wurde viel gelacht und auch gerne mal gestritten. Aber wir hielten zusammen und immer zu ihr, ganz egal, ob 30, 40 oder nur 20k von uns da waren. Sie war ein Bestandteil unseres Lebens und gehörte zu uns. Wir waren fest und unabdingbar miteinander verwoben und teilten alle Höhen und Tiefen miteinander. Wie das eben so ist mit der Liebe des Lebens.
Wir erhoben unsere Stimmen, um sie anzufeuern und die Gegner zu übertönen. Wir waren immer die Rot-Weißen, die Arena war unser Homeground und hier regierte unser Verein.


Fortuna Düsseldorf. Meine Liebe, mein Verein.