Samstag, 25. Juli 2015

A boy next door


Als Kind der Zweiten Liga bin ich ja solide Hausmannskost gewohnt. Hier findet sich hauptsächlich der schnörkellose Spielertyp wieder, eher mit Hang zur Grobmotorik denn zu feinster Filigrantechnik.

Aber manchmal, da mache ich einen kleinen virtuellen Ausflug und schaue über den heimischen Schüsselrand hinweg in ein Stadion voller Größe und Imposanz, ganz so wie ein Kind, dass sich mit sehnsüchtigen Augen die Nase an einem Schaufester die Nase platt drückt, weil dort Dinge feilgeboten werden, außerhalb jeglicher Reichweite, aber von vollendeter Schönheit und ein Begehren weckend, das ins Unermessliche reicht.

Der Eine, der da seine Kunst ausübt, in diesem ehrwürdigen Stadion, der kommt so unscheinbar daher, dass man ihn fast übersehen könnte. Er wirkt, als habe er in der Schule irgendwo auf einem der hinteren Plätze gesessen, wenig beachtet, in sich gekehrt, manchmal schüchtern lächelnd, meist aber still. Kein Poser, kein Leader, den man bewundert, mit dem man befreundet sein will, dessen Aufmerksamkeit man sucht oder dem die Schulballköniginnen ihr Herz schenken. Vielleicht ist es damals schon aufgeblitzt, dieses Talent, das ihm in die Wiege gelegt wurde und ihn später zu einem einzigartigen Solisten werden ließ. In seinen jüngsten Jahren war er aber vermutlich nur einer von vielen, die voller Leidenschaft jede freie Minute mit einem Ball kickend verbrachten. Eiin argentinischer Junge, der der Tradition seines Landes gemäß den Volkssport Fußball bereits mit der Muttermilch aufsog.

Heute, viele Jahre später, steht er auf der Weltbühne Fußball. Er sammelt Rekorde, Tore und Titel, wie andere Panini Bildchen. Noch immer ist er klein und erweckt den Eindruck, er sei er irgendein No Name, ein unscheinbarer Spieler, den man vielleicht mal ab und an von der Bank einwechselt, weil einer der Stars verletzt pausieren muss. Selbst wenn er zur Wahl des Weltfußballers antritt, steht er in einem Jacket auf der Bühne, das aussieht, als habe seine Mutter es ihm herausgelegt und ihm die Worte "Junge, das wird im Fernsehen übertragen, da musst Du Dich ordentlich anziehen, was sollen denn die Leute denken!" mit auf den Weg gegeben. Und noch immer wirkt er schüchtern, fast ein wenig linkisch, das Lächeln unsicher, die Körperhaltung lässt erahnen, dass ihm seine eigene Anwesenheit irgendwie unangenehm ist.

Das Spielfeld, der Rasen. Das ist sein Zuhause. Dort blüht er auf, kann das zeigen, was er kann: Fußball zelebrieren, hochkonzentriert und auf das Wesentlich reduziert. Er braucht keine Attitüde, keinen roten Teppich. Er braucht nur einen Ball. Zuweilen scheint das Team um ihn herum nur Staffage zu sein, zehn Mann, die dabei zusehen, wie der elfte den Ball ins Tor bringt. Das ist bei einem Mannschaftssport wie Fußball nun eigentlich nicht der Sinn des Ganzen. In seinem Fall scheint das aber normal zu sein, seine Mitspieler huldigen ihm, die Massen der Zuschauer ebenso. Sie rufen seinen Namen, wieder und immer wieder, verbeugen sich und ehren ihn. Und dieser kleine Mann dankt es ihnen, wie ein Houdini zaubert er den Ball über das Spielfeld, virtuos umtanzt er seine Gegenspieler mit kleinen, schnellen Schritten. Mit den Augen können sie ihm folgen, mit den Füßen nicht, zu behänd sind seine Bewegungen, Gedanken, Blicke, wechselnde Tempi, Haken, Täuschungen, Richtungswechsel, alles beherrscht er in Perfektion, er denkt den Fußball, er fühlt ihn, er füllt ihn mit Leben, lässt eine einfache Lederkugel zu einem Kunstwerk werden, einem Instrument, dessen Saiten und Tasten Töne hervorbringt, deren Klang andere nicht mal wahrnehmen können. Und doch gelingt ihm all das so spielerisch einfach, als müsse er sich gar nicht anstrengen. Er ist der Eine, der sein Handwerk versteht wie sonst niemand. Der Meister seines Fachs, den es nur einmal gibt, gleich einem Mozart oder einem Einstein.

Dieser Junge, so schlicht und unscheinbar er ist, bringt Zuschauer zur Ekstase und Kommentatoren zum Rasen. Letzte überschlagen sich bei den Versuchen, seinen Namen so oft und so schnell wie möglich hintereinander auszurufen. Nein, nicht nur, wenn er ein Tor geschossen hat, sondern auch jede, aber auch wirklich jede Ballberührung wird gefeiert und bewundert. Er ist das Spiel, Er ist die Mannschaft. Man kann das durchaus übertrieben finden, Liebhaber seiner genialen Virtuosität aber geraten nur zu gerne in Verzückung um seine Person.

Dabei passt dieser Superstar eigentlich so gar nicht die übliche medientaugliche Schablone. Weder ist er ein Beckham look-alike, noch ein klassischer Bad Boy. Seine kürzlich öffentlich gezeigten Arm-Tattoos haben ein bisschen was von Abziehbildchen, als sei er damit eines Tages nach Hause gekommen und habe trotzig gesagt: "Mama, alle haben das jetzt." Und auch der wohl vom brasilianischen Enfant Terrible Teamkollegen abgeguckte Undercut, den er neuerdings trägt, wirkt eher unfreiwillig komisch, als dass er der Imagepolitur zuträglich ist. Er ist weder ein Hollywood Beau, noch hat er ein gewinnendes Zahnpasta-Lachen.

Aber er ist das Sahnebaiser auf dem Kuchenteller, die Coco der Couture. Sein Spiel ist das Labsal für die Augen wie einst der Met für die Kehle der Wikinger. Er beherrscht die Fußballwelt, er ist die Hand, geführt vom Fußballgott höchstselbst. Seine Schönheit offenbart sich auf dem Platz. Neben ihm verblassen sie alle, die Selbstdarsteller, die Mitläufer, die Möchtegern-Megas. 

Millionenfache Erwartungen lasten auf seinen schmalen Schultern, zuweilen die einer ganzen Nation. Nicht immer kann er sie erfüllen, dann überzieht eine Traurigkeit sein Gesicht, dass man ihn sogleich in den Arm nehmen und trösten möchte. Längst ist er im Olymp angekommen und hat nahezu alles erreicht, aber dennoch verlangt es ihn nach mehr, nie wird er müde das nächste große Ziel anzuvisieren und zu erreichen, Spiel um Spiel.

Schießt er ein Tor, legt er den Kopf in den Nacken, winkelt die Arme an und reckt die Zeigefinger hoch gen Himmel und dankt seinem Schöpfer, dessen Gnade ihm so überreich zuteil wurde.

Brächte ich ihn mit nach Hause, würde meine Mutter vermutlich sagen: "Ach, ist das nicht der Junge von nebenan, der ab und zu drüben auf dem Bolzplatz kickt? Wie nett, bring ihn doch mal öfter mit." Und dann lächelte er. Sein schüchternes, schelmisches Lächeln.